Viertes Reich 9. November 1990

Der Gang der Geschichte


Inhalt

Der Gang der Weltgeschichte führt, Hegel zufolge, von China über Indien, Persien, Griechenland und Rom nach Deutschland. Seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts scheint die Geschichte über England nach Amerika fortgelaufen und über den Pazifik hin wieder auf den chinesischen Kulturraum gestoßen zu sein. An der Schwelle zum dritten Jahrtausend kann man aber den Eindruck gewinnen, daß das amerikanisch bestimmte 20. Jahrhundert nur eine Warteschleife im Gang der Weltgeschichte war, bevor sie sich von Deutschland aus auf den Weg nach Rußland macht und über die mongolischen Steppen zurück nach China kehrt.

Die Weltgeschichte ist der Gang des Geistes durch die Welt, die er durch Absehung seiner von sich selbst geschaffen hat. In dieser Welt sucht der Geist sich selbst, er sucht sich in Gestalten, die ihm entfremdet, weil entvollkommnet sind. Hier ist er also nicht absoluter Geist, sondern Weltgeist. Wird der Geist als Person gedacht und anerkannt, so ist der Gang der Geschichte der Gang Gottes durch die Welt, sein irdisches Dasein und seine Selbstauslegung in der Zeit. Zunächst (I) wollen wir uns das Wesen und den Gang der Geschichte vergegenwärtigen, wie ihn Hegel, der deutsche Aristoteles, gesehen hat. Anschließend (II) sei die geschichtsphilosophische Betrachtungsweise des Deutschen Idealismus auf die nachklassische Zeit Deutschlands angewandt und endlich (III) die künftige Ordnung Europas aus dem Geist seiner Völker entworfen.

I

Die Geschichte ist die Selbstauslegung des Geistes in der Zeit. Die Auslegung ist dem Ausgelegten gegenüber nachrangig. Das Selbst des Geistes ist er als absoluter Geist, die Zeitauslegung des Geistes ist er als Geschichte. Die Natur dagegen ist die Selbstauslegung des Geistes im Raum. Indem der Geist in Natur und Geschichte diese Arbeit der Selbstauslegung leistet, schöpft er zunehmend Gestalten, die ärmer an Eigensinn und reicher an geistigem Sinn, also geistreicher sind. Die Betrachtung des Ganges der Weltgeschichte ist ihre Vergeistigung und daher letztlich eine Theodizee, eine Rechtfertigung Gottes. In der Weltgeschichte selber liegt schon eine starke Aufforderung, sich mit ihr zu versöhnen, indem wir ihren Sinn erkennen und den darin manifestierten Geist erfassen.

Der Endzweck der Welt ist die Freiheit und in der Welt selber zu verwirklichen. Die Weltgeschichte geht auf geistigem Boden vor, die Entwicklung des Geistes ist ihre Substanz. Die Natur ist in der Geschichte nicht handelnd, sondern nur eine fremde Auslegung des Geistes, die in seine Zeitauslegung bisweilen einbricht oder auch auf sie überzugreifen scheint, aber wie ein Unwetter wieder verschwindet und geistig-substantiell folgenlos bleibt.

Ist das Wesen der Materie die Schwere, so das Wesen des Geistes die Freiheit; ist die Materie schwer, weil sie nach einem Mittelpunkt außer ihrer selbst drängt, also außereinander besteht und daher zusammengesetzt ist, so hat der Geist dagegen seinen Mittelpunkt in sich, hat die Einheit nicht außer sich, sondern er hat sie in sich gefunden. Der Geist ist in sich selbst und bei sich selbst. Die Materie hat ihre Substanz außer ihr; der Geist ist das Bei-sich-selbst-Sein. Dies eben ist die Freiheit. Dieses Beisichselbstsein des Geistes ist Selbstbewußtsein. Der Geist ist das Beurteilen seiner eigenen Natur. Die Weltgeschichte ist die Darstellung des Geistes, wie er sich das Wissen dessen, was er an sich ist, erarbeitet. Erst die germanischen Nationen sind im Christentum zu dem Bewußtsein gekommen, daß der Mensch als Mensch frei ist, die Freiheit seine eigene Natur ausmacht. Dieses Prinzip auch in das weltliche Gemeinwesen einzubilden, das war eine schwere, lange Arbeit. Religion ist das Prinzip, also der bloße Anfang der Freiheit. Anwendung des zunächst religiösen Prinzips auf die Weltlichkeit ist der Verlauf der Geschichte. Sie ist Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit, die zu ihrer Wirklichkeit wird.

Der Geist ist das Vollkommene und kann darum nichts als sich selbst, seinen eigenen Willen wollen. Der Geist als Einer, als ein Handelnder betrachtet, ist in sich vollkommener Besitzer seiner selbst, und als rechtmäßiger Besitzer ist der Geist Eigentümer seiner selbst und daher Gott. Gott regiert die Welt, der Inhalt seiner Regierung, die Vollführung seines Plans, ist die Weltgeschichte. Nur das aus Gottes Plan Vollführte hat Wirklichkeit, das ihm Ungemäße ist nur faule Existenz. Es geht ums Erkennen der göttlichen Idee und um die Rechtfertigung der Wirklichkeit, wobei das Recht des Weltgeistes über alle besonderen Berechtigungen hinweggeht.

Die Leidenschaft ist das Betätigende, die Idee ist das Innere, der Staat ist das wirkliche sittliche Leben. In der Weltgeschichte kann nur von Völkern die Rede sein, die einen Staat bilden. Der Staat ist das Wahre, die Einheit des allgemeinen und subjektiven Willens. Der Staat ist die göttliche Idee, wie sie auf Erden vorhanden ist. Er ist so der näher bestimmte Gegenstand der Weltgeschichte überhaupt.

Der Geist der Familie ist ebenso ein substantielles Wesen als der Geist eines Volkes im Staate. Durch die Familiensittlichkeit (die Pietät) hat der Staat solche Individuen als Staatsangehörige, die schon für sich sittlich sind, denn als Personen sind sie dies nicht. Sie haben gelernt, sich als eins mit einem Ganzen zu empfinden. Aus patriarchalischen Verhältnissen entspringt die Theokratie, denn auf dieser Stufe ist die Familie noch nicht von der bürgerlichen Gesellschaft und vom Staate geschieden, so daß das Oberhaupt auch sein Priester ist.

Die Verfassung eines Volkes bildet mit seiner Religion, seiner Kunst und Philosophie eine Substanz, einen Geist. Der Staat ist eine individuelle Totalität. Die erste Produktion eines Staates ist herrisch und instinktartig. Aber auch Gehorsam und Gewalt, Furcht gegen einen Herrscher ist schon ein Zusammenhang des Willens. Schon in rohen Staaten muß auf die Partikularität Verzicht getan werden und ist der allgemeine Wille das Wesentliche. Ein Staat beginnt mit einem Königtum. Darauf tut das Besondere und Einzelne sich hervor in Aristokratie und Demokratie. Den Schluß macht die Unterwerfung dieser Besonderheit unter eine Macht, welche nur die monarchische sein kann. Es ist so ein erstes und ein zweites Königtum zu unterscheiden. Welche Verfassung eintritt, ist nicht Sache der Wahl; nur diejenige kann eintreten, die gerade dem Geiste des Volkes angemessen ist.

Der Staat ist die geistige Idee in der Äußerlichkeit des menschlichen Willens und seiner Freiheit. Das System der Freiheit ist die freie Entwicklung ihrer Momente als organischer Glieder, es ist ein gotischer Dombau. Das Sittliche ist die Einheit des subjektiven und allgemeinen Willens.

Das Wahre gelangt nicht nur zur Vorstellung und zum Gefühl, wie in der Religion, und zur Anschauung, wie in der Kunst, sondern auch zum denkenden Geist. Die Prinzipien des Staates müssen als an und für sich geltend betrachtet werden, und sie werden dies nur, insofern sie als Bestimmungen der göttlichen Natur selbst gewußt sind. Wie daher die Religion beschaffen ist, so der Staat und seine Verfas-sung; er ist wirklich aus der Religion hervorgegangen, und zwar so, daß der athenische, der römische Staat nur in dem spezifischen Heidentum dieser Völker möglich war, wie eben ein katholischer Staat einen anderen Geist und eine andere Verfassung hat als ein protestantischer.

Die geschichtlichen Taten und ihre Erzählung erscheinen zu gleicher Zeit. Die Entwicklung einer Sprache gehört aber noch nicht zur Geschichte der Völker, die sie sprechen. Die Sprache ist voreilig, sie treibt die Völker vorwärts und auseinander, bis sie entweder mit Staaten in Berührung kommen oder selber die Staatsbildung beginnen, so daß sie geschichtlich werden. Dabei ist jedes geschichtliche Volk von einem eigenen Prinzip – seinem besonderen Volksgeist – bestimmt. Dieser hat eine logische und eine empirische Seite. Das Logische dieses eigentümlichen Prinzips eines Volkes erscheint als seine bestimmte Besonderheit, die auf geschichtliche Weise zu zeigen, also zu erweisen ist. Die historische Nachweisbarkeit hängt jedoch vom logischen Vorweis ab. Das Prinzip eines Volkes ist sein Anfang; mit ihm hat es den Fang seiner Geschichte gemacht, ihre herstellungslogische Prozeßidee: den Vorausgang. Die Geschichte selber ist dann der Durchgang des ganzen Vorganges vom Vorausgang bis zum Ausgang. Das Prinzip, der Anfang eben, ist es, der den Durchgang der Geschichte bis zu ihrem Ausgang bestimmt. Der Gang ist das Prinzipielle, der Verlauf das Empirische an der Geschichte eines Volkes.

Der konkrete Volksgeist ist das zu Erkennende, das als Geist nur geistig, also durch Gedanken gefaßt werden kann. Der Volksgeist will sich selbst vollenden, also nicht nur sich zur Anschauung bringen, sondern zum expliziten Gedanken seiner selbst. Seine Vollendung ist sein Ende und der Anfang eines neuen Volksgeistes. Damit beginnt eine andere Epoche der Weltgeschichte.

Die Veränderung überhaupt ist Untergang und Aufgang, also beständiges Hervorgehen. Die geschichtlichen Veränderungen aber sind nicht bloß Verjüngungen, nicht bloß Rückgänge zu derselben Gestalt, sondern Verarbeitungen des Geistes, der durch jedes Erzeugnis seinen Stoff vervielfältigt. Der Geist schafft sich so eine unerschöpfliche Menge von Arbeitsaufgaben und Bearbeitungsstoffen.

Der Geist eines Volkes erfaßt sein Prinzip und erbaut aus diesem Anfang sich seine eigene Welt als Religion, Kultur, Gebräuche, Verfassung, Gesetze, alle sonstigen Einrichtungen und Taten. Der Einzelne inkorporiert sich dieser bereits fertigen und festen Welt seines Volkes. Ein Volk ist von sittlicher und kräftiger Natur, solange es sein Prinzip verwirklichen und die ihm gemäße Welt hervorbringen kann. Ist das Werk vollbracht, verschwindet aus dem ferneren Tun dieses Volkes das Interesse des Weltgeistes. Das Volk genießt sein Werk als seine Welt, die ihm zur Gewohnheit wird und aus der das höchste Interesse, der schöpferische Gegensatz, verschwunden ist. Sein Dasein wird langweilig, greisenhaft und weltgeschichtlich bedeutungslos. Dieses Schicksal des Volkes kann sich wenden, wenn es etwas Neues will, das von weltgeschichtlichem Interesse ist. Jenes Volk, das etwas wirklich Neues und damit in die weltgeschichtliche Arena zurückkehren will, muß sein Selbst, seine ganze bisherige Geschichte zum Opfer bringen. Das Opfer ist der Beginn des neuen Gemeinwesens, es gründet die geschichtlichen Subjekte. Das Opfer, das ein Volk darbringt, räumt ihm die Zeit seiner neuen Geschichte ein und zeitigt ihren Raum.

II

Das deutsche Volk hat nach der Auflösung des Ersten Reiches solch ein Neues gewollt und mit dem Zweiten Reich das protestantische Kaisertum geschaffen, das einen zweiten dreißigjährigen Krieg auf sich zog und damit seine weltgeschichtliche Bedeutung bewies. Die Entthronung des protestantischen Kaisers und die Verstümmelung seines Reiches haben die Märtyrer geschaffen, welche die legendären Grundlagen der neuen Ordnung eines Europas der freien Nationen bilden werden.

Das protestantische Kaisertum der Hohenzollern war in Deutschland aber nur als abstrakte Idee vorhanden, war wirklich nur im Prinzip, nur als Anfang. Die Bedingungen seines Entstehens, die geschichtliche Altlast des zugrundegegangenen Millenniums der deutschen Geschichte schwächte den Neuanfang. Österreich und damit das geschichtliche Denkmal des alten, katholischen Kaisertums war nicht überwunden und daher auch vom Zweiten Reich ausgeschlossen worden. Ebenso wurde kein Versuch gemacht, die Sezessionsstaaten des Alten Reiches – die Schweiz und die Beneluxländer – aufzunehmen. Es blieb somit nicht nur die Idee der Nation, sondern auch die des Reiches unverwirklicht, was sich zusammenfaßt im Nichtvorhandensein eines deutschen Königs. Weil nur Preußen, Sachsen usw. Königreiche waren, nicht aber der geschlossene Siedlungsraum des deutschen Volkes in Mitteleuropa zum Königreich Deutschland vereinigt wurde, mußte der Kaiser seinen Titel und die deutsche Nation ihre Reichsbildungspflicht gegenüber den Nachbarnationen verfehlen. Die Hohenzollern waren nicht Könige von Deutschland, also konnten sie nicht Kaiser von Europa werden.

An der Schwelle zum dritten Jahrtausend stellen sich Millenniumsfragen. Welchen Charakter soll das dritte Jahrtausend deutscher Geschichte haben? Was kennzeichnete die vergangenen zwei Jahrtausende? – Betrachten wir die Geschichte Deutschlands vom Jahre 9 bis zum Jahre 1990, so sehen wir sie in zwei Jahrtausende unterschieden. Die Zeit von der Schlacht im Teutoburger Wald bis zum ersten Sachsenkaiser (919) ist dem Entstehen der deutschen Großstämme, der Herausbildung des Althochdeutschen als neuer gemeingermanischer Sprache und insgesamt der Volkwerdung der Deutschen gewidmet. Das Gemeinsame aller Germanen, ihr Gemeinschaftsunternehmen der südlich gerichteten Landnahme und des jahrhundertelangen Kampfes gegen Rom, besondert sich in den Frontstämmen am mittleren Abschnitt, was zur dauerhaften Verortung der allgemeinen Aufgabe in Mitteleuropa führt. Deutschland ist bis heute der Ort der germanischen Allgemeinheit, so daß Deutschfeindlichkeit und Antigermanismus zusammenfallen. Die Zeit vom ersten Sachsenkaiser bis zum letzten deutschen Kaiser (919-1919) umfaßt dann die Staatsgeschichte und damit die Nationwerdung des deutschen Volkes, die auch von Ludwig dem Deutschen (843) bis zu Adolf dem Österreicher (1945) datiert werden könnte. Das charakteristische Prinzip des Ersten Reiches tritt schon im Jahre 800 mit der vom Papst usurpierten Kaiserkrönung Karls des Großen in Rom hervor, wo die deutsche Staatsgeschichte als Geschichte der Übergriffe der geistlichen Gewalt gegen die weltliche begann und erst 1806 endete. Vom Deutschen Idealismus ausgehend, beginnt die Geschichte der neuen Reichsidee, die in Bismarcks Gründung eines protestantischen Kaisertums ihren ersten Realisierungsversuch erlebte, der in einer Leidens- und Märtyrerzeit endete, einer weltweiten Deutschenverfolgung, die von 1914 bis 19901 dauerte.

III

Wie soll jetzt die deutsche Geschichte weitergehen und wie die europäische? Wie soll sich die geistige Macht entwickeln und wie die weltliche Macht?

Die deutsche Geschichte kann nur als Politik der schrittweisen Wiedervereinigungen aller Teile Deutschlands fortgesetzt werden. Die derzeitigen Regierungen in Deutschland allerdings wollen das Gegenteil, nämlich die Beendigungen der deutschen Geschichte und ihre Ersetzung durch EG-Geschichte. Sollte es gelingen, mit dem Einheitsmarkt und der EG als politischer Union ein neues Einheitsreich des karolingischen Typs auf die Beine zu stellen, ist dessen baldiger, von schweren sozialen Erschütterungen begleiteter Zerfall ebenso unausweichlich wie die Teilung des Reiches Karls des Großen es gewesen war.

Kern und Voraussetzung jeder echten Einigung Europas ist die Wiedervereinigung aller deutschen Stämme und Landschaften zu einem Königreich Deutschland. Die Wiedervereinigung des westlichen und mittleren Teiles begann, als die mitteldeutschen Flüchtlinge über Ungarn kamen und in Österreich wieder deutschen Boden betraten – eine Tatsache von höchster symbolischer Bedeutung. Die Wiedervereinigung sollte fortgesetzt werden durch eine Vereinigung Österreichs mit der Schweiz zu Bergdeutschland, dann mit den Beneluxländern und dem erweiterten Bundesdeutschland zum Königreich Deutschland. Dieses kann dann mit anderen europäischen Nationen je nach innerem Verwandtschaftsgrad Reichsbildungen der verschiedenen Formen eingehen. Entscheidend wird sein, daß die europäische Reichsbildung eine organische Völkerrechtsordnung darstellt und den Völkern Europas keine Einheitsgesellschaft aufzwingt, die ihre Souveränität zerstört.

Die künftigen deutschen Wiedervereinigungen sollen kein Anschluß und auch kein Beitritt sein, sondern wirkliche innere Vereinigungen der jeweiligen Landschaftsräson zu einem neuen Gesamtverstand Deutschlands. Deutschösterreich bewahrt nicht nur die Insignien des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, vor seinen Grenzen warten auch die südosteuropäischen Nationen, die dem Reich wieder angehören möchten – um ihres eigenen Wohles willen. Österreich bewahrt also das erste Jahrtausend deutscher Staatlichkeit, es überliefert die alte Reichsidee des katholischen Kaisertums durch sein bloßes Dasein. Die Schweiz dagegen hat Idee und Wirklichkeit der urgermanischen Landsgemeinde, die Einheit von Wehr- und Rechtsfähigkeit bewahrt, zudem Reste der burgundischen und norditalienischen Reichsangehörigkeiten. Ein einiges Bergdeutschland wird es nicht geben ohne die Wiederaneignung dieses partikularisierten deutschen Erbes. Die Österreichisierung der Schweiz ist ohne gleichzeitige Tellisierung Österreichs undenkbar.

Der Gegenbegriff zu Bergdeutschland ist Taldeutschland, dessen tiefste Gegend die Niederlande sind. Mit den Niederlanden ist Deutschland die Seemacht und die maritime Sichtweise insgesamt entfremdet worden, wodurch es Opfer des globalen Interventionismus maritimer Weltmächte werden konnte. Ferner ist die niederländische Sprache ein Alternativdeutsch, ein Platthochdeutsch, also ein Hochdeutsch, das nicht aus der mitteldeutschen Mundartengruppe entwickelt wurde, sondern aus der niederdeutschen. Die holländisch-flämische Sprache ist somit als gesamtdeutsches Kulturgut anzueignen, das von vornherein die mögliche Entwicklung einer hochdeutschen Sprache aus dem oberdeutschen Dialektkreis austariert.

Die Wiedervereinigung Berg- und Taldeutschlands vollzieht sich zuallererst auf geistigem Grunde, ist eine wechselseitige Anerkennung, Aneignung und anverwandelnde Verallgemeinerung der partikularen Prinzipien deutscher Siedlungsräume. Ihr spiritueller Kern kann nur die germanische Glaubensgemeinde in einer deutschen Reichskirche sein. Das Luthertum war nur die erste, christlich-traditionelle Fassung dieser germanisierten Kirche, deren philosophische Fassung der Deutsche Idealismus ist. Er bringt das geschichtliche Prinzip der Germanen – Freiheit und Treue – auf den Begriff.

Die künftigen Religionen der Deutschen mögen schwarzer Katholizismus, roter Protestantismus, grüne Naturfrömmigkeit und blasser Wissenschaftsglaube sein, – entscheidend ist ihre gemeinsame Verfassung als germanische Gemeinde. Jede künftige deutsche Glaubensgemeinde muß immer eine Landsgemeinde geistlicher Privateigentümer sein, also eine Versammlung solcher, die auf ihre Facon selig werden und also einen Glauben haben, der der ihrige ist. Dagegen hatten im Altertum die Menschen den Staatsgöttern zu opfern, wie sie dem Staat zu gehorchen hatten. Über die Götter selber konnte man sich lustig machen. In der germanischen Religiosität ist der Glaube des Einzelnen sakrosankt wie sein weltliches Privateigentum. Eine Pflicht zum öffentlichen Kultus gibt es nicht, aber Gotteslästerung ist ein Straftatbestand, der das geistige Privateigentum jedes Einzelnen ebenso beleidigt, wie der Satz vom Eigentum als Diebstahl jedes weltliche Privateigentum angreift.

Das künftige deutsche Reichskirchengesetz muß also ein germanisches Geistesverfassungsrecht sein, das zuvörderst den Glauben der Gläubigen, ihr geistliches Privateigentum, schützt. Jede Gemeinde ist dann freie Glaubensgemeinde und jedes weltliche Gemeinwesen ein Verein freier Menschen und keine Zwangsgemeinde. Damit erst ist die geistige Herrschaft der Antike beendet und jede Form des spirituellen Cäsarismus auch innerhalb des katholischen Glaubens überwunden und der Konzilsbewegung zum Sieg verholfen.

Die europäische Ordnungsaufgabe des wiedervereinigten deutschen Volkes besteht lediglich darin, daß Deutschland ein vorbildliches germanisches Gemeinwesen wird, also zu sich selbst kommt. Die anderen germanischen Nationen werden sich zu diesem geistigen, politischen und wirtschaftlichen Ordnungskern Europas in eine engere Beziehung setzen, die slawischen und romanischen Nationen in eine weitere oder nur andersartige Beziehung und dadurch ein völkerrechtliches Ordnungsgefüge herstellen, das sich fähig zeigt, gegen raumfremde Mächte ein Interventionsverbot durchzusetzen. Das Europäische Reich entsteht durch freiwillige Zuordnung der europäischen Nationen zum Kernvolk Europas, das aber selber erst wieder kernig werden und eine ganz neue innere Festigkeit gewinnen muß.

Instrumente dieser europäischen Völkerrechtsordnung wären die Freihandelszone (EFTA), die Verteidigungsgemeinschaft (EVG), die europäische Außenpolitik (EAP) und für die germanischen Nationen außerdem noch der Währungsverbund sowie die sozial- und wirtschaftspolitische Union. Europas künftige Ordnung soll als Einheit des Mannigfaltigen, als Bau eines gotischen Domes ausgeführt sein und nicht als Tempel des Mammons.

Ein derart neugeordnetes Europa wird wieder Machtzentrum der Welt sein. Solch ein kommendes Machtzentrum kann aber ganz leicht Angriffsziel der ganzen Welt werden, wenn von ihm nicht rechtzeitig überzeugende Ideen der Weltordnung ausgehen. Als europäisches Weltordnungskonzept schlage ich daher eine Neuordnung der Welt nach Reichsprinzipien vor, die völkerrechtlich zu normieren sind und zugleich als Kategorien einer Sicherheitsordnung gelten. Grundidee dieser Neuordnung als Sicherheitsordnung ist die Einziehung globalstrategischer Wände in unseren Erdraum und ihre völkerrechtliche Normierung als tragende Teile des Bauwerks der Weltsicherheit.

Die globalstrategische Wand als völkerrechtliche Leitnorm der neuen Weltordnung ist aus mehreren Ordnungsbegriffen aufgebaut, die als völkerrechtliche Folgenormen zu fixieren sind: die Sicherheitszone, der Gestaltungsraum, der Subkontinent, die Einflußsphäre und der Konfliktraum von Mächten.

Unter Mächten seien verstanden Staaten, Nationalstaaten und Reiche. Fassen wir als Staat im äußeren Sinne jedes Rechtssubjekt, das das Recht zum Kriege hat, also von anderen Subjekten des Völkerrechts als ihresgleichen anerkannt ist, somit als formelles Völkerrechtssubjekt, so folgt, daß ein Nationalstaat ein reelles Völkerrechtssubjekt ist, dessen Naturalform oder Subjektsubstanz wirklich ein Volk ist, also die prozessierende Gemeinschaft von Abstammung, Sprache und Schicksal. Reiche hingegen sind Mächte, die aus einem reichsbildenden Volk und aus reichsangehörigen Völkern bestehen und also von einer Völkergemeinschaft bewohnt werden.

Reiche sind unterscheidbar nach der inneren Verfaßtheit ihrer Völkergemeinschaft. Besteht bloß der tatsächliche Unterschied von unterworfenen reichsangehörigen Völkern zum unterwerfenden reichsbildenden Volk, so handelt es sich um bloße Völkerreiche; typischerweise sind dies Großreiche, die im Innern als Einheitsreich verfaßt sind; deren Bewohnerschaft bildet ein explosives Völkergemisch, das durch Gewalt, Gleichmacherei und Primitivierung zusammengehalten werden muß. Reiche können aber auch als Staatenreiche verfaßt sein, worin die Einwohner im reichsbildenden Staat und in den reichsangehörigen Staaten organisiert sind. Die nächsthöhere Form des Reiches ist das Nationenreich, worin der reichsbildende Staat wie die reichsangehörigen Staaten organischer Nationalstaat (reelles Völkerrechtssubjekt) sind, keineswegs aber heterogene Staatsnation wie z.B. Frankreich oder Großbritannien. Die Sowjetunion war solch ein Nationenreich auf dem Papier. Denkbare Formen des Nationenreiches sind das Völkerfamilienreich, wie es dem Panslawismus vorschwebte, oder das Völkersippenreich, das hinter arischen Ordnungsideen aufleuchtete.

Alle Mächte haben das natürliche Bestreben, um sich herum eine Sicherheitszone zu legen, eine Einflußsphäre zu gewinnen, in einem Gestaltungsraum tätig zu sein und gegebenenfalls in einem begrenzten Konfliktraum ihre Interessen gegen fremde Ansprüche zu verteidigen.

Als völkerrechtlicher Gestaltungsraum Nordamerikas ist seit der Monroe-Doktrin Mittel- und Südamerika definiert; dieser Gestaltungsraum ist gewissermaßen senkrechter Natur, weil Subkontinent der gestaltenden Macht. Subkontinentale Gestaltungsräume sind richtige und daher haltbare Ordnungen, weil hierbei der nördliche Teil der Hemisphäre den südlichen führt, das Obere und das Untere im rechten Verhältnis zueinander stehen. Weltordnung wie Weltkarte sind dabei richtig ausgerichtet, nämlich genordet.

Die geostrategischen Achsen sind heute zu den Breitengraden hin verdreht; Nord-Süd ist eine Ordnungslinie, Ost-West aber eine Konfliktlinie. Die Verdrehung entstand durch die machtpolitische Ausschaltung Europas und die globalstrategische Degradierung Rußlands; erst die Afghanistan-Intervention hat Rußlands strategische Ordnungslinie sichtbar wiederhergestellt. Amerikas strategische Achse ist am extremsten ost-west-verdreht: nach Europa und Ostasien. Auch bei wohlgeordneten, subkontinentalen Gestaltungsräumen ist der ostasiatisch-pazifische Raum ein prädisponierter Konfliktraum, weil dort die derzeit niedergehende Welt und Großmächte mit aufstrebenden neuen Industriestaaten zusammentreffen und hier die Subkontinente geopolitisch nicht eindeutig sind.

Einflußsphären sind Einwirkungsmöglichkeiten einer Macht in das Gebiet anderer Mächte; diese Möglichkeiten sind auf ethnischen, sprachlichen oder kulturellen Verwandtschaften gegründet oder auch auf wirtschaftlichen Ausstrahlungen. So sind die baltischen Länder immer nordische Einflußsphäre geblieben, ebenso wie Elsaß-Lothringen deutsche Einflußsphäre. Das Österreich der Ära von Jalta bis Malta aber war etwas ganz Besonderes, nämlich eine doppelseitige Sicherheitszone für Rußland wie für die Westmächte und damit der historische Vorläufer zu der geostrategischen Wand Europa-Afrika.

In zehn Jahren spätestens2 wird Amerika, die derzeit (im Oktober 1990) einzige Weltmacht, dort angelangt sein, wo Rußland heute steht. Der Liberalismus Amerikas als älterer und erfolgreicherer Bruder des frühverstorbenen Kommunismus ist auch nur ein Kind des geistigen Cäsarismus. Die Sprößlinge dieser mumifizierten altrömischen Ideenfamilie haben den Völkern Europas tausend Jahre lang allerlei Geistesknechtschaft beschert. Aber dieses alte Abendland ist nun endlich in die ewige Nacht der Vergangenheit abgesunken.

Fußnoten

  1. Das erwies sich leider als eine viel zu optimistische Einschätzung.
  2. Klassischer Fall von revolutionärer Ungeduld.
Deutsches Kolleg
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