Viertes Reich 3. Februar 1995

Der Putsch und andere Extreme


Putsche, Extreme, Radikale, – das sind keine Unfälle des politischen Lebens, sondern gewöhnliche Äußerungen, Organe und Zustände eines politischen Körpers. Wie jedes Leben und seine Normalität selber können sie zur Erstarrung, zur Krankheit und zum vorzeitigen Tod des Organismus führen. Jeder Körper, so auch der politische, hat seine Extremitäten. Bisweilen ist er von außen aufgeputscht oder putscht sich selber auf. Betrachtet man den politischen Körper als einen Baum, der, falls gediegen, in einem homogenen Volksboden wurzelt, so hat dieser politische Baum nicht nur eine Mitte, nicht nur einen Stamm, sondern auch Extreme und Radikale. Aufgeputschtheit oder Abgeputschtheit sind also Zustände des politischen Gesamtkörpers, Stamm, Extreme und Radikale aber seine Teile. Äste, Zweige und Abzweige sind gewissermaßen die Extremitäten oder Luftwurzeln unseres politischen Baumes, die Wurzeln aber seine Radikalitäten, also die Bodenverzweigungen oder Tiefenextreme.

Der Putsch ist eine Gesamterregung, die ihren Ursprung im existenzbedrohenden Versagen lebenswichtiger Funktionen des politischen Körpers hat, welches von innen oder von außen herrühren kann. Der Putsch ist ein Streß; der erfolgreiche Putsch ist ein Streßabbau; er kompensiert dieses Versagen, indem noch gesunde Teile des politischen Körpers die Aufgaben der unfähigen Teile mit übernehmen. Am bekanntesten ist der Militärputsch, bei dem die äußere Sicherheitsreserve eines Staates zur Wiederherstellung der inneren Sicherheit oder insgesamt als Ersatzrnacht für eine unfähige Exekutive aufgeboten wird. Putschfähige Kräfte können miteinander in Streit geraten, wie etwa in Italien, wo der Erfolg des Fernsehputsches durch putschende Staatsanwälte und Untersuchungsrichter streitig gemacht wurde.

Eine der geläufigsten politischen Unterscheidungen ist die zwischen links und rechts. Links und Rechts überhaupt sind vor allem politischen Gebrauch lageanalytische Raumbeschreibungskategorien, die immer konkret und subjektbezogen bleiben, weil die Seite, die für mich die Linke, für mein Gegenüber die Rechte ist, und umgekehrt. Die rechte Hand handelt richtig, gesteuert von der linken Hirnhälfte, die linke Hand handelt linkisch, gesteuert von der rechten Hirnhälfte. Die politische Rechte verteidigt ihr gutes Recht, die politische Linke fordert ihr Recht, d.h. sie hat es nicht. Rechts ist der politische Realismus, links die politische Einbildungskraft. Beide können ausarten: die Rechte in die Phantasielosigkeit, die Linke in die Phantasterei.

Die Unterscheidung von links und rechts hat nur dann einen konkret-subjektiven Sinn, wenn der politische Körper nicht nur als Baum, sondern gleichermaßen als Leviathan, als Mensch aus Menschen mit vorwärtig-raumsehendem Gesichtssinn, gedacht wird.

Der Leviathan erst kann innerlich-partikular und schließlich äußerlich und als ganzer in politische Bewegung geraten.

Politische Bewegungen können in ihre Richtung, zu ihrem Weg und ihrem Ziel nur leicht geneigt (-al), dazu durchaus fähig (-abel) oder absolut entschlossen sein und es zu einem System (-ismus) ausgearbeitet haben. Kombinieren wir somit nach der Art soziologischer Kreuztabellen die politischen Kürzel “putsch”, “radi(x)” und “extrem” mit den Bewegungsgrößen “-al”, “-abel” und “-ismus”, so erhalten wir folgende Tafel der politischen Bewegungszustände: 1. putschale, radikale und extremale Bewegungen, 2. putschable, radikable und extremable Kräfte sowie 3. Putschismus, Radikalismus und Extremismus als Weg- und Zielsysteme. Durch eine Links-Rechts-Unterscheidung ist diese Tafel auf achtzehn Kategorien zu verdoppeln.

Die politische Linke kann Rechte fordern, die politische Rechte kann Rechte bewahren. Beide können dies auf friedliche und auf räuberische Weise tun. Eine politische Linke wird zur Raublinken und geht in Bürgerkriegsstellung, wenn sie die wohlerworbenen Rechte der politischen Rechten für sich verlangt, also enteignen will. Sie ist dann linksreaktionär und die politische Rechte absolut im Recht. Die politische Rechte geht in Bürgerkriegsstellung und wird rechtsreaktionär, wenn sie den Rechtlosen und rechtlich Minderbemittelten das Recht nimmt, neue Rechte zu verlangen und zu bilden.

Diese Rechte wird zum Räuber an der Rechtsfähigkeit. Wenn beim Leviathan die Linke nicht weiß, was die Rechte tut, ist er unfähig zu koordinierter Handlung. Unterscheidung wie Bezogenheit von Linker und Rechter ist also Bedingung gerichteter politischer Bewegungen und der Handlungsfähigkeit des Gemeinwesens, jede Entfachung eines Kampfes zwischen der Linken und der Rechten aber ist das Gemeinverbrechen schlechthin.

In Großwestdeutschland ist vieles putschal, aber nichts putschabel, obgleich das GG mit der politischen Richtlinienkompetenz des Kanzlers und dem Verfassungsgericht einen konstitutionellen Putschismus bereithält. Die Richtlinienkompetenz des Kanzlers steht über der Gesetzgebungskompetenz des Parlaments, vor dem er, einmal gewählt, durch das Institut des konstruktiven Mißtrauensvotums ziemlich sicher ist. Das Verfassungsgericht kann anläßlich jeder beliebigen Verfassungsbeschwerde die verfassungsgebende Gewalt des deutschen Volkes per Superlegalitätsentscheid wiederherstellen und auch die eigene konstitutionelle Existenz dem Souverän anheimstellen. Den grundgesetzlichen Putschismus zu bedienen erforderte als Amtsträger allerdings putschable Persönlichkeiten, also geschichtsmächtige Individuen.

In der Weimarer Republik waren der Reichspräsident (durch das Notverordnungsrecht) und der Reichstag (durch das unbeschränkte Recht auf Verfassungsänderung) putschfähig, und gemeinsam haben sie diese Fähigkeit durch das Ermächtigungsgesetz vom 23.3.33 unter Beweis gestellt. Ein Ermächtigungsgesetz, das die Gesetzgebungskompetenz vom Parlament auf die Regierung überträgt, ist überflüssig, wenn die politische Richtlinienkompetenz beim Regierungschef liegt. Umgekehrt unterliegt dann das Parlament einer ausführenden Gesetzgebungspflicht für jene politischen Richtlinien, deren Naturalform gesetzlicher Normierung bedarf. Denn die politische Kompetenz darf die Setzung und Auswirkung von Rechten vorschreiben, also die politischen Bewegungslinien bestimmen. Die Gesetzgebung dagegen ist überhaupt keine politische, sondern bloß eine technische Kompetenz.

Das Ganze ist das Wahre. Jede Herrschaft eines Teils und jede Regierung einer Partei ist ein politisch Unwahres. Das Unwahre, welches die Teile und die Parteien sind, wird zur Lüge und zur bösen Herrschaft, nicht erst, wenn ein Teil sich als das wahre Ganze behauptet (Einparteiherrschaft), sondern auch dann, wenn die Summe aller Teile sich als das Wahre ausgibt (Parteienstaat). Beide Formen der Herrschaft sind Totalitarismus. Totalitarismus ist Sonderputschismus, worin das Besondere das Allgemeine unterjocht. Kein funktionstüchtiges Teil der Staatsmaschine erfüllt zeitweilig die Aufgaben eines funktionsuntüchtig gewordenen Teiles mit, sondern die Partikularen kegeln gegen die Totalität.

Nötig wäre, den verfassungsgemäßen Putschismus gegen den Verfassungsstreich der Parteien einzusetzen. Nötig wäre der Staatsstreich gegen den Parteienputsch.

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Deutsches Kolleg
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