Erklärungen 3. April 1988

Über Pö­bel­herr­schaft und Sprach­ver­fall


Inhalt

I. Theorie des Pöbels

Ochlokratie (Pöbelherrschaft) ist die seit dem klassischen Altertum wohlbekannte Zersetzungsform der Demokratie. Alle drei legitimen Regierungsformen – Monarchie, Aristokratie und Demokratie – haben ihre heroische Entstehungszeit wie ihre schmerzliche Zerfallsphase. Als jugendlicher Held ist die Demokratie eine revolutionäre Volksbewegung, als ermatteter Greis aber eine Restherrschaft, die durch Parteien, Verbände und Kirchen geschwächt ist und vom vereinigten Pöbel aller Klassen drangsaliert wird.

Jede manneskräftige Demokratie bewahrt das monarchische Prinzip im Staatsoberhaupt und das aristokratische Prinzip in der Repräsentation. Entartet die Demokratie zur Ochlokratie, so verkommt auch ihr monarchisches Prinzip zur Despotie und ihr aristokratisches Prinzip zur Oligarchie.

Als Bundespräsident Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 seine bekannte Rede zum vierzigsten Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation der Deutschen Wehrmacht hielt und diesen totalen Zusammenbruch Deutschlands zum Tag der Befreiung erklärte, überschritt er die Kompetenzen eines demokratischen Monarchen und verformte sein Amt zur moralischen Despotie, die den Spruch der Geschichte zu deuten wagt (was auf Erden den Philosophen vorbehalten ist). Theokratische Richtersprüche setzen sich über alle geschichtliche Erfahrung und sittliche Empfindung des eigenen Volkes hinweg, und der zum moralischen Despoten entartete Staat wird zur Unwirklichkeit der sittlichen Idee oder zur Wirklichkeit der unsittlichen Idee.

Zersetzt ist heute auch das aristokratische Prinzip der Demokratie, denn die Abgeordneten sind nicht mehr Repräsentanten der konkreten Klassen und Stände des Volkes und somit soziale Autoritäten, sondern Gefolgsleute einer herrschenden Gruppe oder Parteienoligarchie. Der Wandel vom sozialen Repräsentanten zum oligarchen Gefolgsmann ist vollzogen, sobald der Typus des parteilichen Berufspolitikers die Parlamente dominiert.

Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken. Ein gewählter Monarch ist schneller zum Despoten verdorben und eine parlamentarische Aristokratie leichter zur Oligarchie heruntergewirtschaftet als ein ganzes Volk zum Pöbel gemacht. Instrumente der barbarisch-gewaltigen Operation, die aus einem Volk einen Pöbel macht, sind durch Parteienpöbel verdorbene Klassenparteien einerseits und neugeschaffene spezielle Pöbelparteien andererseits, wie z.B. der Kommunisten und der Nationalsozialisten in den zwanziger Jahren oder der Grünen heutzutage. Zwar sind die meisten Anhänger der Pöbelparteien nicht selber verpöbelt, aber sie glauben an die Masse, meinen, daß es auf sie ankäme. Glaubt ein Volk mehrheitlich an die Masse und die Notwendigkeit ihres Stils, ist es der Herrschaft des Pöbels unrettbar verfallen.

Herkömmliche Klassenparteien beginnen zu verpöbeln, sobald sie sich als Volksparteien ausgeben, den Staat unterwandern und sich selbst aus den öffentlichen Kassen bedienen; die Klassenpartei ist zur Patronagepartei geworden. Die institutionelle Ursache dieses allgemein beobachteten Wandels von der Klassen- zur Patronagepartei ist darin zu sehen, daß die politischen Verbände – anders als die Wirtschaftsverbände – nicht durch die gesetzliche Auflage der Gegnerfreiheit geschützt sind. Die DGB-Skandale fallen exakt in den Sektoren der deutschen Gewerkschaften vor, die nicht gegnerfrei sind und worin Unternehmer mit Gewerkschaftsvermögen das Sagen haben.

Eine reife Demokratie, die über eine entwickelte kapitalistische Wirtschaft verfügt, teilt das Volk in Einkommensklassen mit entsprechenden Formationen des politischen, ökonomischen und psychologischen Verteilungskampfes (Parteien, Verbände und Kirchen), die das gesellschaftliche Gesamtprodukt an Seele, Macht und Reichtum nach den inneren Kräfteverhältnissen eines Volkes positionieren und seine Gesamtkraft optimieren. Konzepte und Programme dieser Optimierung werden vom Staat vorgegeben, der sie Denkern verdankt, die er meist garnicht kennt und die in der Regel schon lange tot sind. Der Staat als Staatsverband (aller seiner Bürger und seiner selbst als ihr Vorstand) hebt die besonderen Verbände in sich auf, er ist der allgemeine Verband. Der allgemeine Verband funktioniert, solange er die sozialen Verbände ermöglicht und zugleich auflöst, im Staatsverband zur homogenen Staatsbürgerschaft verflüssigt.

Wie weit ein Staat dem Pöbel anheimgefallen ist, erkennt man an seiner Programmunfähigkeit, die der Theorieverachtung entspringt. Sobald Theoriefeindschaft sich breitmacht, triumphieren die Ideologen der Pöbelparteien: seit Jahren bestimmen die Grünen die Themen des öffentlichen Diskurses und die Kommunisten als älteste der heute noch aktiven Pöbelparteien haben immer schon behauptet, der 8. Mai 1945 sei ein Tag der Befreiung gewesen, worauf dann auch der DKP-Vorsitzende Mies den Bundespräsidenten von Weizsäcker im Mai 1985 prompt hinwies.

Die Prognose der Verpöbelung ist der modernen Gesellschaft häufig gestellt worden. Hegel hat gemeint, bei allem Reichtume sei die bürgerliche Gesellschaft nicht reich genug, der Erzeugung des Pöbels zu wehren, und Marx hat sich ihm mit seiner berühmten Verelendungsthese angeschlossen. Auguste Comte hielt eine am Vorbild der Katholischen Kirche ausgerichtete Soziologische Kirche für nötig, um den Pöbel niederzuhalten. Nietzsche sah die Flut des Nihilismus steigen, George Sorel die Arbeiterparteien im Sumpf reaktionärer Arme-Leute-Parteien untergehen. Ortega y Gasset konstatierte den Aufstand des Massenmenschen, der „die Unverfrorenheit besitzt, für das Recht der Gewöhnlichkeit einzutreten und es überall durchzusetzen” (III,13), wobei ausgerechnet der heutige Wissenschaftler das Urbild des Massenmenschen ist, weil gerade im Wissenschaftsbetrieb der gelehrte Ignorant, der Fachidiot gedeiht und „die moderne Wissenschaft dem geistig Minderbemittelten Zutritt gewährt” (III,71). Max Scheler schließlich sah in der allgemeinen Menschenliebe den allgemeinen Menschenhaß sich vorbereiten, und daß es ehrfurchtslos ist, das Weltbeste zu wollen. Der Pöbel ist ehrfurchtslos und will immer nur das Allerweltsbeste.

Karl Marx wies in seiner Bonapartismus-Analyse darauf hin, daß nicht nur das Proletariat ein Lumpenproletariat absondert, sondern auch die Bourgeoisie eine Lumpenbourgeoisie (den Pariakapitalismus) und die Aristokratie eine Lumpenaristokratie ausscheidet. Die Verlumpung hat nichts mit der Garderobe oder der Einkommenshöhe zu tun, wohl aber mit der Qualität der Einkommensquelle. Aber weder die primären Einkommensquellen, die Produktionsfaktoren, noch die sekundären Einkommensquellen, der staatliche und der private Transfer, sind an sich schon Einkommensarten des Pöbels.

Die proletarische Klasse hat Arbeitskräfte, die bourgeoise Klasse Kapitalien und die aristokratische Klasse Immobilien zur Einkommensquelle, daher sind Lohn, Zins und Grundrente ihre klassengemäßen Einkommensarten. In der modernen kapitalistischen Gesellschaft ist eine Regierung der Grundeigentümer konservativ, eine Regierung der Kapitalisten liberal und eine der Proletarier sozialistisch. Diese Regierungstendenzen der Hauptklassen werden ergänzt durch solche der Zwischenklassen: die Regierung von Selbständigen (die außer über den Faktor Arbeitskraft mindestens noch über einen weiteren Produktionsfaktor verfügen) ist radikal, die Regierung der Staatsklasse (die vom staatlichen Transfereinkommen lebt und dafür die Staatsfunktionen erfüllt) ist etatistisch. Gegner der Staatsklasse ist die Anarchistenklasse, die vom staatlichen Transfer lebt, ohne Staatsfunktionen zu erfüllen.

Eine anarchistische Regierung ist nicht ohne weiteres eine Herrschaft des Pöbels, denn zur Anarchistenklasse gehören z.B. seit der kriegsbedingten Aufzehrung des Rentenkapitals und des Inkrafttretens des sog. Generationenvertrages unsere Sozialrentner. Weil Staats- und Anarchistenklasse ihre gemeinsame Subsistenz am allgemeinen Transfer haben, sind sie zur Transferklasse zusammenfaßbar, und in vielen entwickelten kapitalistischen Ländern ist nicht der Verteilungskampf zwischen den primären Einkommensklassen das politisch-ökonomische Hauptgeschehen, sondern der Kampf um die Aufteilung des allgemeinen Transfers (z.B. in Gesundheits-, Renten- und Bildungspolitik). Aber die aktuelle Erfahrung zeigt, daß es verpöbelte Anarchisten wie auch verpöbelte Staatsmänner gibt, die durchaus miteinander politische Geschäfte machen können, die auf Kosten des ordentlichen Teils ihrer jeweiligen Klasse gehen.

Eine oftmals der Pöbelerzeugung verdächtigte Volksklasse sind Kleriker, Funktionäre und Lobbyisten. Ökonomisch stellen sie Klassenreste dar, die vom privaten Transfer bestimmter Einkommensklassen leben. Den privaten Transfer erheben die Kampfverbände der Klassen; diese Verbände des Verteilungskampfes sind zugleich die soziologischen Gruppen, die psychologischen Kirchen, die politischen Parteien und die ökonomischen Verbände der Klassen. Die Elemente der durch Privattransfer unterhaltenen Klassenreste der Kleriker, Funktionäre und Lobbyisten sind sozial immer Parteiische, seelisch die Claqueure der sie bezahlenden Kirche und politisch die pflichtschuldigen Gefolgschaften ihrer Partei. Die bezahlten Funktionäre des Arbeitgeberverbandes sind keine Arbeitgeber und die Gewerkschaftslobbyisten keine Arbeitnehmer; beides sind Privatbeamte. Privatbeamte sind auch die Funktionäre der Kirchen (ob nun der traditionell-theologischen oder der modern-elektronischen) und die Geschäftsführer und Verwalter aller sonstigen Vereine und Verbände. Solange die Privatbeamten wirklich von den Mitgliedsbeiträgen ihrer Verbände bezahlt werden, leben sie klassengemäß und daher anständig.

Die Verpöbelung sozialer Verbände, seien es solche der Haupt- oder der Zwischenklassen, beginnt mit ihrer Subventionierung. Die Privatbeamten, denen der klassenspezifische Transfer als Existenz- und Operationsgrundlage zu schmal geworden ist und die deshalb – in der Regel legal – auf den allgemeinen, klassenunspezifischen Staatstransfer übergreifen, sind vom soziostrukturellen Gesichtspunkt her genauso korrupt wie jene Staatsbeamten, die sich aus den Reptilienfonds irgendwelcher Verbände bedienen lassen. Dabei ist es auch kein struktureller Unterschied, ob die querlaufenden Mittel für den Unterhalt des Beamten oder des Amtes verwandt werden. In die Fonds sozialer Kampfverbände umgelenkte staatliche Mittel sind die leichte Beute, die dem schwachen Staat abgepreßt wird. Den treffenden Ausdruck für diese Beutepolitik beim schwachen Staat haben die Ideologen der grünen Pöbelpartei geprägt: Staatsknete. Selbst die größte Einzelgewerkschaft der freien Welt, die IG Metall, verschmäht heute nicht mehr Staatsknete als pazifistische Alternative zu Tarifverträgen, die der starken gegnerischen Klasse gefahrvoll abzuringen sind.

Der schwache Staat ist das selbe Betrugsmanöver in der Politik, das die schwache inflationäre Währung in der Wirtschaft darstellt. Umgekehrt verhält es sich mit dem starken Staat wie mit einer stabilen Währung, die noch nicht Reichtum oder wachsende Wirtschaftskraft bedeutet und die nur sicherstellt, daß Otto Normalverbraucher nicht um seine Ersparnisse gebracht wird; der starke Staat ist bloß Voraussetzung zur Lösung aller ernsthaften politischen Probleme, weil er verhindert, daß der loyale und gewaltlose Bürger um seine öffentlichen Rechte betrogen wird. Der starke Staat hält sich aus dem Verteilungskampf der Verbände heraus, aber er sorgt für das pacta servanda sunt, toleriert also weder Streiks noch Aussperrungen oder andere Lieferblockaden auf privatrechtlich kontrahierte Güter in seinem Herrschaftsbereich.

Der Pöbel ist das Asoziale, die Deformation aller Klassen, nicht ihre Aufhebung. Pöbel ist Schutt im sozialen Gefüge. Sozialschutt entsteht durch Brüche, Risse und Verbiegungen der gesellschaftlichen Struktur. Ist der Pöbel an der Macht, versucht er dem Volk einzureden, ein schwacher Staat sei in seinem Interesse, und der Staat vor allem sei es, vor dem es geschützt werden müsse. Wer den Staat als Gefahr sieht, wird schließlich mit jenen sympathisieren, die den Staat plündern. Das ist der Zweck der als Liberalismus getarnten lumpenbourgeoisen Propaganda gegen den Staat, der als Überwachungsstaat beschimpft und so eingeschüchtert wird, daß er es nicht mehr wagt, den Pöbel zu überwachen.

Ein souveränes Volk, das seinen Staat fürchtet, ist der Verrückte, der seinem Kopf mißtraut und deshalb vorsichtshalber damit gegen die Wand rennt. Das Privileg, Staatsgegner zu sein, hat in der modernen Gesellschaft nur eine Volksklasse: die der Anarchisten. Die Anarchistenklasse ist der einzige legitime Gegner der Staatsklasse, weil die Anarchie mit dem Staat sowohl einen Verteilungskampf auszutragen hat als auch durch das gemeinsame Interesse an einem hohen Steueraufkommen verbunden ist. In der Steuerfrage allein sind die drei Hauptklassen und besonders die Selbständigen oder Radikalen staatsfeindlich und anarchiefeindlich gleichermaßen, d.h. Gegner des Sozialstaats, insoweit er anderen zugute kommt.

Wer gegen jemanden kämpft, kämpft auch mit ihm, – um dasselbe. Also die steuerzahlenden Klassen kämpfen mit den steuerzehrenden um das Steueraufkommen, die steuerzehrende Transferklasse aber kämpft untereinander um die Aufteilung des Aufkommens zwischen Staats- und Anarchistenklasse.

Charakteristikum des modernen Pöbels ist kein lautes Herumpöbeln, sondern der leise, legale Systembruch. Der Pöbel aller Verbände hält den Klassenkampf für überholt, ist für den schwachen Staat, der den Zugriff auf die öffentlichen Kassen erleichtert, von dem gleichzeitig aber mit Nachdruck gefordert wird, alle Gesellschafts- und Umweltprobleme omnipotent zu lösen. Die Privatbeamten des sozialen Verbändesystems zeigen im Zustand der Verpöbelung das aus der Geschichte der militärischen Verbände wohlbekannte Landsknechtssyndrom: man hat keine Lust mehr, sich mit den Kameraden von der Gegenseite zu schlagen und plündert lieber Wehrlose und Unbeteiligte.

Die von den Klassen für ihre Kampfverbände eingestellten Privatbeamten sind gewissermaßen ihre Verbandsknechte, Landsknechte des Verteilungskampfes, die aber bald den riskanten Kampf mit dem Klassenfeind scheuen und dort auf Beute ausgehen, wo sie mit dem geringsten Widerstand zu holen ist. Sie beschreiten den Weg der Effektivität des Kampfes, nicht den seiner Ehre. Hat der Verbandsknechtspöbel den Staat und andere Unbeteiligte weitgehend ausgeplündert oder erobert, wendet er sich gegen das letzte reiche Beuteobjekt: den eigenen Auftraggeber. Verkommene Landsknechtshaufen wurden im späten Mittelalter zur gefürchtetsten Plage der Länder, die sie urspünglich beschützen sollten.

Die sozialdemokratischen Landsknechte marodieren besonders auffällig gegen die deutsche Arbeiterklasse, indem sie jetzt die scharfe, einst von den Arbeitgebern eingeführte Waffe der ausländischen Arbeitskräfte gegen die deutschen Arbeiter und Arbeitslosen richten, durch Ausländerwahlrecht auf Dauer stellen, wodurch das deutsche Proletariat politisch und kulturell verelendet, von seinen zweifelhaften Beschützern noch abhängiger wird, die ihrerseits sich von der deutschen Arbeiterklasse emanzipieren und auf ein internationales Proletariat stützen, das ihnen huldigt, sie als Herren anerkennt, Schutz und Schirm erhält und sich zu Rat und Hilfe verpflichtet. Aus diesem und keinem anderen Grunde toleriert die Hamburger SPD das organisierte Verbrechen der Hansestadt in so auffälliger Weise.

Die CDU, seit sie im Bund regiert, hat nicht nur die sozialdemokratische Ostpolitik fortgesetzt und forciert, sondern auch die Quellensteuer auf Kapitalerträge eingeführt, die sie in der Opposition zu Recht als scharfe Waffe gegen ihre Klientel der kleinen Kapitaleigner gebrandmarkt hatte.

Theoretisch ist der moderne Pöbel durch Systembruch, schwachen Staat und kampfentwöhnte Klassen ermöglicht. Die moderne Ochlokratie erzeugt ein pazifistisches, wehrunwilliges Volk, das erst der sozialen Eroberung durch oligarchische Verbandsknechtscliquen, dann der moralischen Despotie von oben, schließlich der Knechtschaft von außen durch Infiltration fremder Völkerschaften anheimfällt. Es ist der Kern ochlokratischer Außenpolitik, den internationalen Pöbel ins Land zu holen, um die innere Herrschaft unabhängig zu machen. Emanzipation vom eigenen Volk ist die Generallinie der Ochlokraten. Inhalt des gegenwärtigen Fortschritts ist die Emanzipation der Ochlokratie von der Demokratie, denn jede Zersetzungsform entfernt sich immer mehr von der Form, die sie zersetzt. Aller Fortschritt ist diese Entfernung von einem alten Ideal und führt nur dann nicht zur Barbarei, wenn er das alte Ideal in dialektischer Weise bestimmt negiert, also das neue Ideal aufbaut.

II. Sprache des Pöbels

Die Herrschaft des modernen Pöbels äußert sich in einer besonderen Form des Sprachverfalls, der kaum noch wahrgenommen wird. Am auffälligsten ist der Verlust des Konjunktivs: der Pöbel hat keinen Möglichkeitssinn, ihm fehlt daher selbstredend auch der rechte Sinn für die Wirklichkeit. Die Konjunktivlosigkeit raubt dem Indikativ die Bestimmtheit und die sprachlichen Weichmacher blühen. Der Pöbel denkt abstrakt und redet schablonenhaft; die geistige Vulgarität ist sein Stil, für den er zuvörderst Toleranz fordert; der Pöbel ist liberal mit seinesgleichen.

Nicht nur der Konjunktiv ist dem Pöbeldeutsch abhanden gekommen, sondern auch das Plusquamperfekt und die vollendete Zukunft, weil in jeder Vollendung alles Pöbelhafte getilgt ist. Der Pöbel als personifizierter Zerfallsprozeß haßt alle Vollkommenheit, die der Vergangenheit wie die der Zukunft. Auffällig ist auch das Verschwinden des Genitivs; dieser Fall beantwortet bekanntlich die Eigentumsfrage; aber wessen Sache etwas ist, kümmert jenes Gesindel nicht, das sich daran vergreifen will. Ein tieferes Gefühl für die wahren Besitzverhältnisse in Westdeutschland zeigen hingegen jene großstädtischen Kleinbürger, die dem angelsächsischen Genitiv zu seiner großen Sichtbarkeit verholfen haben, indem sie z.B. ihren Frisörladen Peter’s Barber Shop nennen.

Der moderne Pöbel hat nicht die Vitalität des alten: er pöbelt nicht mehr lauthals herum, aber er redet bei allem mit, vorzugsweise über Kultur, wie Hamburgs Erster Bürgermeister (ein mäßig talentierter ungarischer Aristokraten-Darsteller), der jeden dritten Satz mit einem „sag ich mal so“ beendet.

Dieses „sag ich mal so“, das in Hamburg von oben bis unten durchgesetzt ist, bringt die Befindlichkeit des Pöbels, der von der Unbestimmtheit, vom Systembruch lebt, in idealer Weise zum Ausdruck. Noch häufiger werden die Fragmente „sag ich”, „denk ich” und „mal” verwandt. Das Wörtchen „mal” macht alles weich und vage, erzeugt die Prinzipien- und Begrifflosigkeit, dies Lebenselement des modernen Pöbel. Das „sag ich” und „denk ich”, angehängt an jeden zweiten Satz, befriedigt des Pöbels anhaltendes Bedürfnis, sich und anderen die Wirklichkeit seines Redens und Denkens zu bestätigen. Die Weichheit des Pöbels ist eine Herrschaft der Kontingenz: sie fällt, wenn von Sachzwängen gespornt, in ebenso subjektiv-kontingente Brutalität.

Der Pöbel kann keine Gesellschaft ändern, denn er ist ihr bloßer Zerfall. Nichts dergleichen ist seine Sache, er hat keine Sache, ist selber noch nicht einmal eine gesellschaftliche Tatsache, sondern die soziostrukturelle Tatenlosigkeit, bloßer Strukturschutt. Er sagt gerne: „Das ist nicht mein Ding” – ein brutaler Ausdruck, der die Verdinglichung ausspricht und bejaht; diese Affirmation der Reifikation spricht den Schein als Sein an, direkt und völlig undialektisch. Ähnlich die beliebte Formulierung „das laß ich so stehen“: seit Hegel weiß man, warum nichts stehen bleiben kann; diese Einsicht fehlt dem Pöbel, der die deutsche Philosophie haßt, weil er sie zu fürchten hat und sich daher regelmäßig zum angelsächsischen Pragmatismus bekennt. Dem Geistespöbel fehlt jene Kraft der Negation, die alles in Flug bringt. Er ist das Zerfließen der Sozialstrukturen, und die Pöbel-Existenz selber ist nur eine Äußerung dieser Kraft der Negation.

Eine besonders unangenehme Herabwürdigung des Gesprächspartners ist es, ihm zu bescheinigen, er habe eine „gute Frage” gestellt. Die Frage gilt nur deshalb als gut, weil die Antwort schon parat liegt, die Frage keine Frage, sondern eine Informationslücke war. Antworten des Pöbels werden häufig durch ein „wie auch immer” abgebrochen, aber gerade auf das Wie, auf den rechten Weg, kommt es an; doch die Wege des Pöbels sind krumm. „Sie erlauben!”, sagt der Pöbel, wenn er sich etwas herausnimmt, und „das muß ich nicht haben”, nachdem er sich schon alles genommen hat.

Die Bildungsverpöbelung ist ein ganz eigenes, ausgedehntes Phänomen. Sprachlich äußert sie sich dergestalt, daß die eigene geistige Beschränktheit positiv herausgestellt und der Gegenüber durch polemisch unterstellte Bildung ins Unrecht gesetzt wird. „Mehr fällt mir dazu nicht ein!”, verkündet der Pöbel stolz, „Sie müssen das ja wissen!”, wirft er dem Anderen vor, oder repliziert ganz elegant und herablassend: „Fragen Sie mich doch etwas leichteres!” – Nur in Zeiten wie den unseren, die unter der Herrschaft des Pöbels stehen, ist es der Ignoranz möglich, sich zur Preziose zu spreizen. Die Krönung der Bildungsverpöbelung ist eine Bildungsreform, die die Eliten auf die Massen ausrichtet, statt umgekehrt. Am Ende hapert es dann selbst mit der Rechtschreibung, was der orthographischen Reform den Weg bereitet.

Alle Argumente, die auf das Wesen der Sache zielen und über den egoistischen Pragmatismus und flachen Empirismus hinausweisen, gelten dem geistigen Pöbel als „abgehoben”. Strukturschutt der er ist, bleibt der Pöbel bis zu seinem Verschwinden in den Trümmerbergen der Vergangenheit unfähig zur systematischen Erkenntnis, zur geistigen Struktur; er hat die Dinge höchstens „mal angedacht”. Der geistige Pöbel hat keinen Sinn, deswegen muß alles bei ihm „Sinn machen”. – Der Sinn ist immer schon in die Wirklichkeit eingelassen; um ihn in der Wirklichkeit zu finden, müßte man fähig sein, das Wirkliche als vernünftig zu begreifen. Fehlt diese Fähigkeit, muß der Sinn erst konstruiert werden. Die Verdinglichung des Sinns zum Machbaren ist die Ökonomisierung eines metaphysischen Begriffs.

Der Pöbel als das Asoziale aller Klassen in allen Völkern erzeugt eine globale Form des Politikverfalls wie des Sprachverfalls: Weltinnenpolitik und Anglizismus. Die globale Sprachbarbarei in Gestalt der Anglizismen ermöglicht erst die pazifistische Generalillusion einer Weltinnenpolitik – übrigens die grundsätzlichste Negation der Souveränität der Völker und somit Demokratiefeindschaft schlechthin!

Das Englische hat eine besondere Affinität zum Pöbel. Entstanden als ethnischer Trümmerhaufen der Völkerwanderung, unterworfen von römischen, angelsächsischen, dänischen und normannischen Eroberern, ist das Englische die am meisten verpöbelte Sprache der vollkommenen Äußerlichkeit, mit einem schier unbegrenzten, durch keinen inneren Sinn eingeschränkten Wortschatz. Das Englische ist keine Sprache, sondern ein Pidgin. Pidgin ist die Idealsprache des Primitivpöbels. Deswegen ist der Sprechstil der englischen Oberschicht die lautliche Verkürzung, im Gegensatz zum Hochdeutschen, das die Satzperioden wie die Aussprache des einzelnen Wortes ausfeilt und verlängert. Die Weltpöbelsprache Englisch ist aber nicht den Angelsachsen anzulasten, die vor der normannischen Eroberung bekanntlich Platt gesprochen hatten. Die normannische Eroberung Nordfrankreichs war, anders als die angelsächsische Landnahme in Britannien, wie alle Wikingerzüge keine Völkerwanderung, sondern ein Raubzug ohne Frauen und Kinder. Innerhalb zweier Generationen haben die französischen Frauen aus den Normannen naturalisierte Franzosen und damit denaturierte Germanen gemacht: Bastarde, die als Herren über England noch vier Jahrhunderte lang französisch sprachen und in diesem langen Zeitraum das Platt der unterworfenen Angelsachsen zu jener grenzenlosen Primitivsprache verkrüppelten, die das Englische zum Esperanto des Weltpöbels qualifiziert hat.

Die „one world”, das ist Sprache und Politik des Pöbels in einem. Mit diesem Konzept hängt die ochlokratische Vorstellung zusammen, das Menschenrecht sei individuellen Ursprungs. Der Pöbel ist gelebter Individualliberalismus, der sich zum Ego-Anarchismus steigert. Diszipliniert wird er durch Druck, Erpressung, Korrumpierung. Eine verpöbelte Wirtschaft wäre die Unterwerfung des Kapitals durch das Kapitalverbrechen.

III. Phänomenologie des Pöbels

Der Pöbel haßt die Selbstdisziplin, das Opfer, den Helden. Gänzlich fremd ist ihm das herkuleische Bewußtsein, daß man den Augiasstall wirklich ausmisten kann. Der Pöbel riskiert nichts, er ist feige, geistig und körperlich. Sein Pazifismus, die Verachtung der Tugenden des Kriegers, macht den Pöbel kleinlich, sentimental und brutal, also gänzlich unfähig zu jedem wirklich großen Gefühl, unfähig zur Leidenschaft. Die Leidenschaft entspringt der Gemeinschaft, nie der Gesellschaft und schon garnicht ihrem Strukturschutt.

Wer zu keinem großen Gefühl fähig ist, packt auch keine großen Aufgaben an, Charakteristikum der Pöbelherrschaft ist das Durchwursteln und das Tabuisieren der Grundfragen. Alles wird weichgemacht, alles wird geschmiert, aber zum großen Ärger von Pöbelherren und -knechten wird der Schmierstoff knapp. Weil der Pöbel nicht etwa das kleingemachte Volk ist, sondern sein zerkleinerter, moralisch-strukturell zerstörter Teil, ruht er als Beherrscher der Gesellschaft nicht eher, bevor nicht alles andere auch so klein erscheint. Helden darf es nicht geben, aber jeder kann zum Idol gemacht werden: die heroinsüchtige Prostituierte, der Sportgladiator oder der Homosexuelle.

Die Hochburg der westdeutschen Pöbelherrschaft ist Hamburg. Hier läuft z.Zt. eine Propagandakampagne für Aids-Infizierte unter der Parole „Aids fordert unsere Liebe”. Die Partei der möglichen Aids-Infizierten, die Tunten mit ihrem Stoßtrupp der profitierenden Berufe, greift nach der gesundheitspolitischen Priorität und beansprucht ganz schamlos das liebeheischende moralische Vorrecht, auf Kosten der allgemeinen Gesundheit einen Beutezug gegen den öffentlichen Gesundheitsfond zu führen. Die erworbene Abwehrschwäche ist die symbolische Krankheit der Gegenwart. Aids ist eine Verpöbelung des menschlichen Körpers, und Pöbelherrschaft das Aids des sozialen Körpers. Zweck der Aids-Propaganda ist die Verteidigung der Macht des Pöbels schon in vorderster Linie, und nicht etwa die menschliche Selbverständlichkeit, die Leiden Todgeweihter zu lindern.

Gesellschaftsstrukturen erscheinen oft als unwandelbar und unangreifbar. Ihre Überwindung setzt die Kenntnis und Erfüllung ihrer Entwicklungslogik voraus. Werden die Strukturen vor Vollendung ihrer gesellschaftsgeschichtlichen Aufgaben gleichsam chemisch zersetzt, entsteht keine höhere Struktur, sondern die Barbarei der Strukturlosigkeit. Auch Konstruktionen aus Stahlbeton bedürfen der Schonung und Pflege, sollen sie nicht verrotten und vor der Zeit in Trümmer fallen.

Die Ästhetik des Pöbels ist vollkommen realisiert im Hamburger Schauspielhaus unter Peter Zadek, dem gestattet wird, am deutschen Theater seine Privatrache für Auschwitz zu üben. Allgemein gilt: ästhetische Ochlokratie ist die Herrschaft des Interessanten, weil das Schöne nicht mehr das Gute und das Gute nicht mehr das Wahre ist; wie die Ochlokratie sich von der Demokratie emanzipiert, so ist die Pöbelkunst Befreiung aus der Fessel des Schönen. Selbstverständlich weiß sich auch die Pöbelreligion vom Guten und die Pöbelphilosophie vom Wahren zu emanzipieren. Wirkliche Philosophie sucht nicht die Emanzipation, sondern die Hörigkeit der Wahrheit.

Auf den Weg der spätrömischen Dekadenz ist Westdeutschland schon sehr weit fortgeschritten. Als die Lex Antoniana im Jahre 212 allen Italikern römisches Bürgerrecht verlieh, war das Volk von Rom im wenig heroischen Einheitsbrei der italienischen Bevölkerung aufgelöst, die mit dem römischen Pöbel im Recht auf Frumentierung aus den Staatsspeichern gleichgestellt wurde (panem et circenses). Die orientalischen Despoten auf dem römischen Cäsarenstuhl konnten sich nun auf den gesamtitalienischen Pöbel stützen. Aber bald war die Frumentierung der Massen nicht mehr bezahlbar; zunächst wurde die Ausplünderungspolitik gegen die Provinzen und die innere politökonomische Despotie verschärft, schließlich half auch das nichts mehr und man schritt zur Zwangskolonisierung der Armen und Sklaven: der Weg vom spätrömischen Sozialstaat und seinem erblühten Privatrecht zum Frühfeudalismus, der nicht einmal mehr den Unterschied von privatem und öffentlichem Recht kannte, war durchschritten.

Durch Verdrehung des Ausländerrechts und des (an sich völlig unproblematischen) politischen Asyls zu einem Frumentierungsrecht des internationalen Pöbels hat sich die innere Herrschaft des deutschen Parteienpöbels von der Zustimmung des deutschen Volkes befreit. Am 14. Januar 1988 empfing Hamburgs Bürgermeister das konsularische Korps. Dabei beglückwünschte der russische Generalkonsul den Bürgermeister zur Vertragslösung in der Hafenstraße, wo der KGB mitgesiegt hatte. Herr von Dohnanyi wies stolz darauf hin, daß bereits „60.000 nichtdeutsche Hamburger” in den Mauern der Stadt leben. – Die über hunderttausend Nichteuropäer in Hamburg sind schon heute die eigentliche, von der Meinung der Einheimischen unabhängige Macht, deren Herrschaft über Senat und Volk von Hamburg in der Stadt selber überhaupt nicht mehr zu brechen ist, weil sie über geheime, an kein deutsches Recht gebundene Gewaltapparate mit besten internationalen Beziehungen, vor allem auch nach Moskau und zur amerikanischen Ostküste, verfügen.

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