Erklärungen 3. Januar 2005

Dutschke und Hitler


Am Heiligen Abend des Jahres 1979 starb Rudi Dutschke an den Folgen des Attentats vom Gründonnerstag des Jahres 1968. Am 3. Januar 2005 jährt sich seine Grablegung in Berlin-Dahlem zum 25. Male.

Wie bei Jesus von Nazareth erkennt bei Rudi von Luckenwalde seine Gemeinde erst geraume Zeit nach seinem Tode, daß ihr ein heilsgeschichtliches Individuum begegnet war. Heilsgeschichtlich ist ein Individuum, das ein Scharnier geschaffen hat, um das sich eine neue Weltgeschichte dreht, die von neuen welthistorischen Individuen gebündelt und ausgesprochen werden wird. „Wie Morgenluft sind nämlich die Namen / Seit Christus. Werden Träume. Fallen, wie Irrtum / Auf das Herz und tötend, wenn nicht einer / Erwäget, was sie sind, und begreift.“ (Hölderlin)

Hitler und Dutschke waren die beiden charismatischen Führer, die das Deutsche Volk im 20. Jahrhundert hervorgebracht hatte: Hitler der Führer der großen deutschen Arbeiter- und Volksbewegung von 1933, Dutschke der Führer der kleinen deutschen Studentenbewegung von 1968. Unter den zahlreichen Studentenführern, die die Weltrevolution von 1968 rund um den Erdball hervorbrachte, hatte keiner das jesuanische Format, die persönliche Ausstrahlung und den philosophischen Tiefgang Rudi Dutschkes. Er hatte dieses alles, denn er war der Führer nach dem Führer. Heinrich Böll nannte ihn „Den mehrfach Deutschgekreuzigten / Den Rudi den Dutschke“. Daß Dutschke drei Kopfschüsse überlebt und die zerstörte Sprechfähigkeit sich zurückerobert hatte, das darf getrost als ein Wunder gelten. Diese Wiederauferstehung Dutschkes offenbarte, daß die Vorsehung das Heil – schon zum zweiten Male im 20. Jahrhundert – auf einen Erlöser der Deutschen gelegt hatte. Denn was Dutschke, der Sohn-Führer, verkündete – den gesamtdeutschen Sozialismus als ein erneuertes Leben der deutschen Volksgemeinschaft ohne westliche oder östliche Bevormundung – das hatte der Vater-Führer im Rausche der entfesselten Produktivkräfte seiner sechs Friedensjahre schon verwirklicht.

Hitler und Dutschke haben beide für das Reich, also die Einheit von Kirche und Staat als der Einheit von Heilsgeschichte und Weltgeschichte, gekämpft: Adolf von Braunau, der Ältere, für das Reich der Notwendigkeit, Rudi von Luckenwalde, der Jüngere, für das Reich der Freiheit. Jenes bleibt immer Voraussetzung für dieses. Daß beides nur im historischen Rahmen des Deutschen Reiches als eine der nationalen Bedingungen internationaler Solidarität möglich sein wird, verstand sich von selbst.

Die nationale Erfahrung der Deutschen mit der revolutionären Aufhebung des kapitalistischen Systems mußte der Welt ein zweites Mal verkündet werden, und zwar von dem nationalen Marxisten und solidarischen Internationalisten Rudi Dutschke. Alle heils- und weltgeschichtlichen Revolutionen müssen, um den Anschein der Zufälligkeit zu verlieren, zweimal geschehen. Die Deutsche Revolution von 1933 wie die Weltrevolution von 1968 inthronisierten nicht die Arbeiterklasse oder gar eine andere Klasse der Stände eines Gemeinwesens zum revolutionären Subjekt, sondern das jeweilige Volk als den Souverän, der allein das Recht zu Revolutionen jeder Art habe. Revolutionstechnisch gesehen war 1933 eine nationale Machtergreifung und 1968 eine weltweite Wortergreifung. Beide zeichneten sich aus durch die doppelte Frontstellung gegen alte Rechte und alte Linke, gegen den Kapitalismus wie gegen den Kommunismus. Sie erkannten als häßliche Kehrseite des Proletariers den Bankier und den jüdischen Spekulanten. Beide Revolutionen waren Entproletarisierungsbewegungen.

Dutschke zählte mit der SPD und KPD auch die NSDAP zu den drei „bedeutendsten deutschen Arbeiterparteien“. Deutscher Sozialismus als Reich der Notwendigkeit, wie ihn Adolf Hitler und seine Gefolgschaft praktizierte, ruht auf drei Säulen: 1) auf einer der Volksgemeinschaft unterworfenen und damit eigenwirtschaftlich (nationalökonomisch) gebändigten Marktwirtschaft, 2) auf der Deutschen Arbeitsfront als Zwangsvergemeinschaftung der Klassenkampfverbände der bürgerlichen Gesellschaft, die nach 1945 in Österreich und im westzonalen Altreich als „Sozialpartnerschaft“ lange weitergewirkt hat, und 3) auf dem Reichsarbeitsdienst als der gesamtstaatlichen Eigenwirtschaftsorganisation.

Deutscher Sozialismus als Reich der Freiheit, wie ihn Rudi Dutschke und seine Nachfolger konzipierten, hat zur Voraussetzung die weitgehend arbeitslose und daher automatische Produktion. In solch einer Art Gemeinwesen ist das Verhältnis von Herr und Knecht obsolet, es gibt eine große Menge von Herrschaftslosen, also von Anarchen oder auch Anarchisten. Die breiten Massen müssen nicht mehr die herrschende Klasse ernähren, sondern umgekehrt von dieser ernährt werden. Nicht mehr der Kampf zwischen Arbeiter- und Kapitalistenklasse in der bürgerlichen Gesellschaft ist das Hauptgeschehen, sondern der Verteilungskampf zwischen Etatisten- und Anarchistenklasse innerhalb des staatlichen Transfersystems. Die Hartz-IV-Demonstrationen im Sommer 2004 waren ein Aufstand der Anarchistenklasse gegen die Etatistenklasse, also ein dutschkistisches Geschehen. Die sozialen Kämpfe zumindest des 21. Jahrhunderts werden von dutschkistischer Programmatik und Strategie bestimmt sein. Neben der weiteren Rationalisierung des Reiches der Notwendigkeit ist die künftige Hauptaufgabe nach erfolgter Wort- und Machtergreifung die Organisation des Reiches der Freiheit.

Im 20. Jahrhundert wurden Volk und Reich der Deutschen gekreuzigt. Um dem Deutschen Sozialismus ein für alle Male das Lebenslicht auszublasen, veranstaltete die vereinigte Konterrevolution aus kapitalistischen und kommunistischen Mächten den Zweiten Weltkrieg mit vielen Millionen Toten und Verstümmelten. Aber schon am 17. Juni 1953 standen die mitteldeutschen Arbeiter gegen die kommunistischen Kollaborateure der sowjetrussischen Besatzungsmacht auf und zwangen sie am 13. August 1961 zur Bankrotterklärung des Berliner Mauerbaus. Auf dem West-Berliner Vietnamkongreß im Februar 1968, der ersten Internationale der Nationalrevolutionäre, drohte dann die amerikanische Besatzungsmacht, scharf zu schießen. Den Vietnamkrieg hat Amerika verloren, auch dank der weltrevolutionären Wortergreifung von 1968, die zugleich der weltgeschichtlich erste Aufstand für das Reich der Freiheit war.

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